1575 geboren, dreißig Jahre nach Luthers Tod, gehörte der hoch eigenwillige Denker Jacob Böhme zur Generation von Shakespeare, Monteverdi und Rubens, Kepler und Galilei waren seine Zeitgenossen. Nur erlebte er die vergleichsweise ruhige Ära zwischen den Wirren von Reformation und Bauernkriegen und dem noch zu seinen Lebzeiten ausbrechenden Dreißigjährigem Krieg nicht in den kulturellen Hochburgen Europas, sondern fernab im schlesischen Görlitz, wo er als Handwerksmeister, als Schuster, den Lebensunterhalt für seine Familie bestritt. Autodidakt und Außenseiter, der er war, obschon er, wie er schrieb, "vieler Meister hohe Schrift" gelesen hatte, nutzte er die Randständigkeit der Provinz, um sich auf eigene Faust - außer aus der Bibel hat er nie aus anderen Schriften zitiert - ins Zentrum aller philosophischen und theologischen Streitfragen seiner Zeit vorzuwagen und seine spirituelle Kosmogonie, seine eigene Naturphilosophie und seine eigene Lehre von den Weltläuften zu entwerfen. Ein großangelegtes Gedankengebäude, das den Menschen nicht nur stets zwischen Himmel und Hölle verortet, sondern den "zweifachen Quell", das "Ja und Nein aller Dinge" auch als universelle Triebkraft begreift. Nicht minder einzelgängerisch und eigenständig war die Sprache, die er für seine intuitiven Einsichten und weitausholenden Spekulationen erfand, voller Poesie und zugleich "notorisch unverständlich", wie man nicht zu Unrecht über ihn gesagt hat. Seit der Veröffentlichung seiner gesammelten Überlegungen unter dem Titel "Morgenröte im Aufgang" (oder latinisiert "Aurora"), verdammte ihn die inzwischen etablierte protestantische Orthodoxie als Ketzer, besonders der Görlitzer Pfarrer verfolgt ihn und sein "Schustergift" wie den Erzfeind. In der abendländischen Geistesgeschichte aber wirkte er fort, Teil einer unkonventionellen, dissidentischen Unterströmung, zu der die Mystiker, Naturphilosophen und Astrologen, die Alchimisten, Wunderpropheten und die Geheimbündler mit ihren Verschwörungslehren gehörten. Vierhundert Jahre lang, bis zu Novalis und Nietzsche, Freud und Ernst Bloch blieb er einer der großen Geheimtipps und schwierigen Anreger, an denen kaum einer vorüberkam, der nach einem Denken jenseits ausgetretener Pfade, nach einem Neuanfang suchte.
Das MDR KULTUR Spezial zum 400. Todestag von Jacob Böhme bietet unter anderem einen Blick auf die wichtigsten Lebensstationen des Görlitzers, fragt nach, wie sich dessen Gedankenwelt heute vermitteln läßt und lädt ein, der jüngsten MDR-Hörspiel-Premiere in der ARD Audiothek zu lauschen: "Zugluft im Weltgefüge", ein Dialog mit Jacob Böhme von Ruth Johanna Benrath.