Das Böllern verbieten oder zumindest den Verkauf von Feuerwerksartikeln - das war bei den Jahreswechseln in der Pandemie das Mittel der Wahl, um die Notaufnahmen der Krankenhäuser nicht zusätzlich zu belasten. Ein wirksames Mittel, wie die Zahlen bewiesen - deutlich weniger Patienten mussten mit Knalltrauma, Rauchvergiftung oder gar Hand- und Gesichtsverbrennungen eingeliefert werden. Die Statistik der Krankenkassen liefert zugleich ein ziemlich erschreckendes Bild über die alljährlichen Nebenwirkungen der rituellen Ekstase des Brauchtums (so sehen Ethnologen die Silvester-Knallerei) - und da ist die Feinstaubbelastung noch gar nicht betrachtet.
Der in den letzten Jahrzehnten stets in Art (Kaskadenknaller, "Kanonenschläge", "Polenböller") und Umfang zunehmende pyrotechnische Kult ist inzwischen arg in Bedrängnis geraten - nicht erst seit Corona und auch nicht seit dem protestantischen Appell "Brot statt Böller!". Auch hier wirkt sich die Digitalisierung aus: Schon 2019 klagten Pyrotechniker über die Konkurrenz von Lasershows, einzelne Städte verbieten schon seit mehr als einem Jahrzehnt die Knallerei.
Ist das Silvesterfeuerwerk also ein Auslaufmodell unserer Feierkultur? Wo kommt es her, was befeuerte seinen funkensprühenden Aufstieg, was erzählt es über unsere Mentalität, über Unvernunft und Spaßbremsen, über Wirtschaft und Ökologie, über die Geister des alten Jahres und die immer wieder neue Hoffnung auf ein besseres Neues? Ist ein Knallerverbot deutschlandweit durchsetzbar - und wäre das gesellschaftlich überhaupt wünschenswert?
Tobias Barth ist freier Feature-Redakteur beim MDR. Seit seinem Studium der Medien, Literatur- und Theaterwissenschaft in Leipzig, Basel und Halle arbeitet er als Autor, Produzent und Regisseur. So entstanden zahlreiche lange Audioproduktionen. Für MDR KULTUR betreute er zuletzt die Podcast-Serie "Die geheimen Depots von Buchenwald" (MDR 2019) und war Co-Autor bei den Features "Das Massaker von Mechterstädt" (MDR 2020) und "Landraub in Deutschland" (MDR/ARD 2022)
Produktion: DLR 2022